Anreicherung in Iran stagniert
 Keine neuen Uran-Zentrifugen in Betrieb genommen

 München - Iran hat seit Mai die umstrittene Anreicherung von Uran in der  Nuklearanlage in Natans nicht ausgeweitet. Zwar installierte das Land dort  seit dem Frühjahr Hunderte neue Zentrifugen zur Anreicherung - allerdings  blieb die Zahl jener Geräte konstant, die tatsächlich Uran anreichern. Das  bestätigten Diplomaten in Wien, dem Sitz der Internationalen  Atomenergiebehörde IAEA. In den vorangegangenen Monaten hatte Iran  kontinuierlich sowohl neue Zentrifugen installiert als auch in Betrieb  genommen. Ob technische oder politische Gründe Iran veranlasst haben, die  Anreicherung nicht auszuweiten, ist offen.

 Es gibt unterschiedliche Einschätzungen des Verhaltens Irans und der  Aussichten auf einen Kompromiss im Atomstreit: Westliche Diplomaten sehen  darin einen taktischen Zug Irans, um die IAEA zu zwingen, in einem für  Ende der Woche erwarteten neuen Bericht Fortschritte zu vermerken - mit  dem Ziel, weitere Sanktionen zu unterlaufen. Diplomaten aus dem Umfeld der  IAEA halten jedoch auch ein politisches Signal Irans für möglich. Ein  internationales Verhandlungsangebot sieht vor, dass Iran zunächst darauf  verzichtet, die Anreicherung auszubauen. Im Gegenzug würden keine neuen  Sanktionen verhängt. Iran könnte diese Bedingung erfüllt haben, ohne es  öffentlich zu machen, mutmaßte ein Diplomat.

 Die Stagnation bei der Anreicherung wurde im Zuge einer Kontroverse  zwischen westlichen Staaten und der IAEA bekannt, die vergangene Woche  begonnen hatte und mit zunehmender Schärfe auch öffentlich ausgetragen  wird. Hintergrund sind im September bevorstehende internationale  Beratungen über neue, härtere Sanktionen gegen Teheran im Streit um das  iranische Atomprogramm. Iran ebenso wie der Westen versuchen deswegen den  Inhalt des erwarteten Iran-Berichts der Wiener Atominspektoren zu  beeinflussen.

 Sowohl die US-Regierung als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und  Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy drohen inzwischen offen, Iran von  lebensnotwendigen Treibstoffeinfuhren abzuschneiden und die Gas- und  Ölindustrie des Landes mit Strafen zu belegen. Dies ist der Einschätzung  geschuldet, dass es immer unwahrscheinlicher wird, dass Iran bis zum  Ablauf der vom G-8-Gipfel in L"Aquila gesetzten Frist zur  UN-Generalversammlung im September auf das Angebot eingeht, das die USA  Teheran gemeinsam mit den anderen ständigen Mitgliedern des  UN-Sicherheitsrates und Deutschland unterbreitet haben.

 Der Sprecher des französischen Außenministeriums und hohe  US-Regierungsbeamte hatten die IAEA aufgefordert, einen "umfassenden  Bericht" vorzulegen und detailliert auf Indizien einzugehen, die darauf  hindeuten, dass Iran heimlich Atomwaffen entwickelt. Die jüngeren Berichte  der IAEA erwähnen zwar jeweils, dass Iran bei der Aufklärung dieser  offenen Fragen nicht kooperiert, listete die Vorwürfe aber nicht mehr  einzeln auf.

 Offenbar versprechen sich die westlichen Staaten, darunter Deutschland,  von der Wiederholung der Verdachtsmomente und der Erwähnung etwaiger  weiterer Erkenntnisse durch die IAEA eine bessere Position, um möglichst  viele Staaten für Sanktionen zu gewinnen. Diplomaten räumen aber ein, dass  es keine wesentlichen neuen Fakten gibt. Die IAEA hatte ihre Mitglieder  bereits im Februar 2008 informiert, dass sie Informationen erhalten habe,  für die es "keine plausible andere Erklärung als die Entwicklung von  Atomwaffen gebe". Die Dokumente sind nach Einschätzung der IAEA echt; Iran  spricht von Fälschungen.

 Die IAEA sieht in der Aufforderung einen Angriff auf ihre Unabhängigkeit  und weist den mitschwingenden Vorwurf von sich, sie halte Material zurück,  das Iran belasten würde. Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, versucht die  Behörde jeden Eindruck zu vermeiden, sie stelle ihre Unparteilichkeit  hinter die politische Agenda des Westens zurück. Die Schwellen- und  Entwicklungsländer unterstellen den Atommächten und den Industrieländern  ohnehin, die IAEA für ihre Interessen zu instrumentalisieren.

 Nach den öffentlichen Angriffen auf die IAEA war in Wien bereits  vergangene Woche durchgesickert, dass Iran in zwei wichtigen Streitpunkten  die Forderungen der Behörde erfüllt hat. Die internationalen Inspektoren  erhielten Zugang zu dem im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak  und dürfen die Überwachung der Anreicherungsanlage Natans verbessern.
 Paul-Anton Krüger

 Quelle: Süddeutsche Zeitung
 Nr.196, Donnerstag, den 27. August 2009 , Seite 8

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