Phantomschmerzen
 "Ein Augenblick Freiheit", noch ein Film über Iraner im Exil

 Zwei Filme, die sich der Perspektive iranischer Migranten verschreiben,  sind innerhalb weniger Wochen in die Kinos hierzulande gekommen. "Salami  Aleikum", von Ali Samadi Ahadi, hat das in Form einer Komödie gemacht,  "Ein Augenblick Freiheit", von Arash T. Riahi, der diese Woche in München  startet, erzählt von Flüchtlingen aus Iran und dem Irak, die in der Türkei  auf Bescheid über ihre Asylanträge warten. Es ist das überfällige Porträt  einer aus dem gesellschaftlichen und politischen Diskurs ausgeblendeten  Randgruppe, deren Angehörige immer schnell verdächtigt wurden, sich als  Wirtschaftsflüchtlinge ein bequemes Leben zu machen. Der Start dieser  beiden Filme ist ungewöhnlich im deutschen Kinobetrieb, der bisher vor  allem die deutsch-türkischen Filmemacher als Repräsentanten alles Fremden,  von exotisch bis gefährlich, feiert.

 Auch die laufenden Debatten um die Grenzen Europas, Integrationsmodelle  und den Stellenwert des Islam werden vor allem über die Mehrheit der 1,7  Millionen deutschen Türken erzählt. Das geht bis ins Jahr 1975 zurück - in  einem der frühesten Zeugnisse migrantischen Filmschaffens porträtierte der  Dokumentarfilm "In der Fremde" das Hundeleben der ersten türkischen  Gastarbeiter. Sein Autor war indes ein Iraner - der spätere  Grimmepreisträger Sohrab Shahid Saless, der quasi über Eck seinen eigenen  tragischen Abstieg von der Gründerfigur des neuen iranischen Kinos zur  Randfigur im Exil erzählte.

 Bis heute sind die etwa 120 000 Deutsch-Iraner, von wenigen Ausnahmen  abgesehen - Bahman Nirumand, Katajun Amirpur, Navid Kermani, Said -, im  deutschen Kulturbetrieb kaum sichtbar. Man spricht von gelungener  "Assimilation", und führt das auf den gehobenen Bildungsstand der Perser  zurück. Indes steht auch eine besondere Geschichte im Hintergrund: Prägte  die "erste Generation" der Immigranten noch das Klischee vom wohlhabenden  Teppichhändler und Arzt, so änderte die breite Flüchtlingswelle der  Achtziger das Bild - sodass der persische Taxifahrer sprichwörtlich wurde.  Zu dieser Klientel von Existenzgründern - Kioskinhaber, persische  Betreiber mexikanisch-chinesischer Pizzerias - gehören auch die  Protagonisten von "Salami Aleikum". Die "Culture-Clash-Comedy" nimmt ihren  Ausgang im deutschesten aller Kleinbetriebe - einer Kölner Metzgerei. Der  softe Zögling des Besitzers strandet in einer ostdeutschen Kleinstadt und  gibt sich dort als persischer Geschäftsmann aus, um die Eltern der  hünenhaften Automechanikerin zu beeindrucken, in die er sich verliebt hat.  Der von Samadi Ahadi und Arne Nolting ersonnene Plot um strickende  Orientalen und kugelstoßende Ossibräute hat eine enorme Fallhöhe, die der  Film aber trotz Anlaufschwierigkeiten mit Aberwitz prächtig meistert -  dank bollywoodesker Tanzeinlagen, drolliger Animationsfilmstrecken und  eines spielfreudigen Ensembles, allen voran die beiden ewiggestrigen  Väter: der österreichische Kult-Kabarettist Michael Niavarani und der  passionierte Ossi-Darsteller Wolfgang Stumph ("Go Trabi Go").

 Dabei unterliegt den frechen Kapriolen eine ernste Grundmelodie, geht es  doch um zwei entwurzelte Völkerschaften, die beide keine neue Heimat  finden können. Aufgrund seines vorigen Films würde man Ali Samadi Ahadi  sowieso eher ins ernste Fach einsortieren: "Lost Children" (zusammen mit  Oliver Stoltz), der 2005 unter anderem den Deutschen Dokumentarfilmpreis  erhielt, handelte von Kindersoldaten in Uganda. Im Rückblick bezeichnet  Samadi - der 1985 vor dem Fronteinsatz gegen den Irak flüchtete und mit 13  mutterseelenallein nach Deutschland kam - seine filmische  Auseinandersetzung mit Afrika als Umweg, der ihm erst die unbefangene  Annäherung an seine traumatische Jugend ermöglicht hat. "Phantomschmerzen"  sind es, die die Iraner in der alltäglichen Begegnung spürten und die  ihnen bislang die Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls erschwerte. In  der Tat hatten einige Vertreter der Flüchtlingsgeneration ein starkes  Exilsymptom ausgebildet: Statt selbstbewusst eine Rolle im deutschen  Kulturleben einzunehmen, zerfleischten sich Marxisten, Monarchisten,  Reformisten in fruchtlosen Flügelkämpfen und Spiegelfechtereien mit wenig  Außenwirkung, bezichtigten sich gegenseitig der Kollaboration mit dem  Mullah-Regime, und bastelten an einem zunehmend realitätsfernen Bild  Irans. Nichts ist typischer für diese Gruppe als der Iraner, der  behauptet, er hätte nichts mit Iranern gemein.

 Nabelschnur zur Heimat

 2006 hatte der Österreicher Arash Riahi mit "Exile Family Movie" eine  ebenso unterhaltsame wie präzise Dokumentation darüber gemacht, wie die  Diaspora eigentlich funktioniert. Dem Überwachungsstaat entronnen, taucht  man vollständig im Gastland unter, gleichzeitig reißt die Nabelschnur zur  Heimat nicht ab - und den Film durchzieht eine nicht abreißende Kette von  Ferngesprächen, Webcam-Auftritten und gelegentlichen Besuchen der über den  ganzen Globus zerstreuten Verwandtschaft.

 Mit "Ein Augenblick Freiheit" hat Riahi nun ein respektables  Spielfilmdebüt abgeliefert, auch er setzt Navid Akhavan und Michael  Niavarani in tragenden Rollen ein. Doch während "Salami Aleikum" eine  Aussöhnung durch Humor und die Kombination mit einer deutschen Thematik  versucht, rührt "Ein Augenblick Freiheit" direkt an die Wunde und erzählt  episodisch drei exemplarische Flüchtlingsgeschichten. Nach der  strapaziösen Überquerung der kurdischen Berge beginnt für seine Figuren in  Ankara ein zermürbendes Warten auf Anerkennung ihres Asylantenstatus -  getragen von der Hoffnung auf mehr Freiheit, einen Neuanfang und das  Zusammentreffen mit den Angehörigen im Westen. Doch vor den Toren Europas  erweist sich die Türkei als Schlangengrube, jederzeit droht ihnen die  Abschiebung oder der Verrat an die iranische Geheimpolizei.

 "Salami Aleikum" und "Ein Augenblick Freiheit" sind zwei unterschiedliche  Beispiele für die aktuelle Rückkehr des politischen Films. In beiden  verarbeiten mittlerweile erwachsene Flüchtlingskinder ihre Geschichten,  die bislang so noch nicht erzählt wurden. Dass diese Filme nun  ausgerechnet im Umfeld der iranischen Wahlen und Demonstrationen in die  Kinos kommen, ist nicht unbedingt zufällig. Drei Jahrzehnte nach der  Revolution scheint die Zeit der Resignation vorbei zu sein. Die große  Welle von Solidaritätsaktionen, Demos und Lichterketten, welche weltweit  die Proteste auf den Teheraner Straßen begleitete, ereignete sich  überraschenderweise meist überparteilich - die üblichen ideologischen  Grabenkämpfe blieben aus, und die wichtigsten Impulse kamen nicht von den  altbekannten Politakteuren, sondern von einer jungen, mehrheitlich im  Westen aufgewachsenen Generation. Und nun sucht man endlich nach Bildern -
 für die eigene Vergangenheit, für eine gemeinsame Zukunft. AMIN FARZANEFAR

 Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.196, Donnerstag, den 27. August 2009 , Seite 12

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