Wer demonstriert,
wird entlassen
Deutscher Konzern verbietet Protest
gegen Irans Präsidenten
Jörg Schanow wurde am Freitag seines
Lebens nicht mehr froh. Der Justitiar
und Mit-Geschäftsleiter der Baustofffirma Knauf aus dem bayerischen Iphofen musste nicht nur außergewöhnlich
viel telefonieren an diesem Tag; er
wurde auch mit Faxen und E-Mails traktiert, in denen wütende Exiliraner vorstellig wurden und zum Boykott des weltweit
tätigen Baustoffherstellers aufriefen.
"Alle schießen sich auf uns ein", klagt Schanow, dabei seien die Manager am Stammsitz des
Familienunternehmens gar nicht verantwortlich
für diesen Brief, den die 250
iranischen Mitarbeiter des Unternehmens seit
einigen Tagen in den Händen halten. Darin steht der Satz, dass "von
sofort an jedes Firmenmitglied, das bei
einer Demonstration gegen die aktuelle
Regierung festgenommen wird, sofort entlassen" werde. Etwas
unglücklich sei das schon formuliert,
findet Schanow; aber unterzeichnet habe ihn eine Gruppengeschäftsführerin der dezentral organisierten Knauf Gips
KG, die in der Türkei residiert und für
die gesamte Region Nahost zuständig ist.
Isabel Knauf, eine Erbin aus der Gründerdynastie Anton und Karl Knauf,
saß am Freitag schon im Flugzeug zum
Wochenendurlaub und war nicht erreichbar.
"Wir möchten all unsere Angestellten daran erinnern, dass sie nicht
nur ihre persönliche Meinung vertreten,
wenn sie politisch aktiv sind. Ihre
Aktionen könnten auch negativ auf die Knauf-Unternehmen im Iran zurückfallen", heißt es in dem Brief
weiter, über den am Freitag zuerst das
Wall Street Journal berichtet hatte.
Seit den Präsidentenwahlen in Iran am
12. Juni halten die Proteste der
Regimegegner gegen den Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad an, obwohl die Teheraner Polizei mit Tränengas und Knüppeln
gegen die Demonstranten vorgeht. Dabei
war auch ein 34-jähriger Knauf-Angestellter mit deutsch-iranischer Doppelstaatsbürgerschaft festgenommen worden.
Vier Tage, nachdem der Brandbrief des
Nahost-Managements verfasst worden war,
wurde er wieder freigelassen. Ein ungewöhnlicher Fall von
vorauseilendem Gehorsam, findet ein
Iran-Kenner, zumal sich die Kontroll- und
Sanktionsmöglichkeiten des Regimes über die ausländischen
Geschäftspartner in engen Grenzen
hielten. Außerdem sei Deutschland nach den Vereinigten Arabischen Emiraten und China Irans
drittwichtigster Handelspartner. Auch
bei der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Hamburg ist kein ähnliches Vorgehen deutscher Firmen in Iran bekannt.
Immerhin hätten 85 deutsche Firmen
Niederlassungen in dem ölreichen Land - von den Dax- Konzerne Lufthansa, Siemens, Linde oder BASF bis hin
zum Autozulieferer ZF Friedrichshafen.
Weitere 7500 Firmen unterhalten Geschäftsbeziehungen über örtliche Repräsentanten, darunter der
Autokonzern Daimler, der in Iran
Motoren und Busse baut. Daimler hält es, wie die anderen deutschen Konzerne auch, nach der Devise: "Was
unsere Mitarbeiter wo auch immer auf
der Welt privat machen, geht uns nichts an." Als Unternehmen
indessen, so eine Konzernsprecherin
weiter, sei man zur politischen Neutralität
verpflichtet.
Die Firma Knauf beteuert über Justitiar
Schanow, dass politische Zurückhaltung
eigentlich nur von den Führungskräften der 22 000 Mitarbeiter in 40 Ländern der Welt verlangt werde. Inzwischen weckte
der Brief aber auch schon die
Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes meinte: "Für den Fall, dass das
zutrifft, würden wir es nicht begrüßen
und nicht gutheißen." Dagmar Deckstein
Quelle:
Süddeutsche Zeitung
Nr.175, Samstag, den 01. August 2009 ,
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