Drei zu eins

Analyse. Überlegungen zur Rettung der deutschen Sozialdemokratie

Von Georg Fülberth

Der Untergang der deutschen Sozialdemokratie ist schon so oft vorhergesagt worden, daß für sie längst der Sinnspruch gilt: Totgesagte leben länger.

Das ist wie mit dem Kapitalismus. Gerade wurde wieder einmal sein Ende vorhergesagt. Fröhlicher ist er noch niemals wiederauferstanden als unter Karl-Theodor von und zu Guttenberg. Unsere Frage lautet: Könnte es auch mit der Sozialdemokratie so sein? Falls ja: warum? Falls nein – warum nicht?

Mag sein, daß sich der Herr schneller erholt als das Gescherr. Es ist also denkbar, daß die SPD am 27. September besonders schlecht aussehen wird. Unsere Untersuchung könnte die Tränen, die dann vergossen werden, vorab trocknen, falls sich herausstellen sollte, daß es danach auch wieder aufwärts gehen könnte.

Oft wird behauptet, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sei seit dem 4. August 1914 – Zustimmung zu den Kriegskrediten – keine sozialistische Partei mehr. Daraus wurden zwei einander widersprechende Schlüsse gezogen:

Erstens: Als nichtsozialistische Partei habe die SPD keine Existenzberechtigung mehr, und sie werde deshalb verschwinden, wenn nicht gestern, heute und morgen, so doch am Jüngsten Tag. Eine solche Prophezeiung läßt sich ebenso wenig verifizieren oder falsifizieren wie die Weissagungen der Zeugen Jehovas. Am Jüngsten Tag werden wir über sie befinden.

Zweitens ist zu hören: Der Verzicht auf den Sozialismus habe der SPD das Leben gerettet. Auch hier fällt der Beweis schwer. Unterstellen wir einmal, die deutsche Sozialdemokratie sei a) nicht mehr sozialistisch und b) noch am Leben (Letzteres dürfte immerhin stimmen), dann wissen wir doch nicht, ob die Beibehaltung von Theorie und Praxis ihres marxistischen Erfurter Programms von 1891 ihr den Tod gebracht hätte. Wie sagte doch Eric Hobsbawm so treffend: »Der Historiker kann immer erst wetten, wenn er weiß, welches Pferd gewonnen hat.«

Nichts sollte uns also daran hindern, eine dritte Vermutung zu riskieren. Sie lautet: Die SPD ist noch sozialistisch. Dies habe ihr bis heute die Existenz garantiert. Es sei deshalb sehr weise gewesen, daß sie sich auf Anraten von Kurt Beck, Andrea Nahles und Wolfgang Thierse und gegen das Widerstreben von Franz Müntefering, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier in ihrem Hamburger Programm 2007 unverändert den Demokratischen Sozialismus verordnet habe, denn ohne diesen könne der Kapitalismus nicht auskommen.

Diese These ist das, was die Angloamerikaner »heroic« nennen: kühn. Sie soll deshalb auf die Art und Weise behandelt werden, die in der Wissenschaft üblich ist: Erst theoretisch, dann empirisch, in diesem Fall historisch.

Kapitalismus und Sozialismus

Fragen wir zunächst: »Was ist Kapitalismus?« Hier ein Vorschlag:

Kapitalismus ist die Funktionsweise von Gesellschaften, die auf der Erzielung von Gewinn und der Vermehrung der hierfür eingesetzten Mittel (= Kapital) durch den Kauf und Verkauf von Waren oder die Erbringung und den Verkauf von Dienstleistungen beruhen.

Auf einem Bein allein steht es sich schlecht. Deshalb fügen wir gleich auch eine Definition für Sozialismus hinzu. Also:

Sozialismus ist die Verfügung einer Gesellschaft über die Produktions- und Zirkulationsmittel sowie die über Erbringung von Dienstleistungen durch den planenden, organisierenden und verteilenden Einsatz von politischen Institutionen. Ein Unterfall ist das gesellschaftliche Eigentum, das verschiedene Formen annehmen kann: staatliches, kommunales oder genossenschaftliches. Strukturiert dieses die gesamte Gesellschaft, wird sie in der Regel als kommunistisch bezeichnet. Als sozialistisch kann aber auch eine Ordnung gelten, in der Privateigentum in relevantem Maße weiterbesteht, aber gesellschaftlich geplant und organisiert ist. Die politischen Formen, in denen sozialistische Gesellschaften ihre Verfügung über Produktion, Dienstleistungen und Verteilung wahrnehmen, können sehr verschieden sein: von zahlreichen Varianten der Demokratie bis zur Despotie.

Es zeigt sich, daß Sozialismus nicht unbedingt etwas Wahres, Gutes und Schönes sein muß. Es handelt sich um eine Regulationsweise, mehr nicht. Sie kann auch sehr scheußlich sein, muß aber nicht. Wer sie ausschließlich positiv will, meint damit die »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«. So steht es im Kommunistischen Manifest. Eine solche Ordnung ist gewiß von allen Wohlmeinenden anzustreben. Sie ist auch sozialistisch organisiert. Aber dies ist lediglich die notwendige, keineswegs hinreichende Voraussetzung für den »Verein freier Menschen«, von dem Marx im Fetischkapitel des »Kapitals« so hübsch schreibt.

Fassen wir Sozialismus aber nur technisch – und das müssen wir, denn sonst könnten wir nicht von Sozialdemokratie reden –, gibt es eine Schnittmenge mit dem Kapitalismus. Das muß auch so sein, denn einen rein privatwirtschaftlichen Kapitalismus hat es nie gegeben.

Diese liebliche Produktionsweise funktioniert nämlich nach zwei Prinzipien, einem dominanten und einem untergeordneten, für seinen Fortbestand aber gleichwohl unentbehrlichen:

Das erste ist der Wettbewerb auf dem Markt.

Das zweite ist die politische Regulierung dieses Marktes, mithin also das, was wir eben »Verfügung einer Gesellschaft über die Produktions- und Zirkulationsmittel sowie die über Erbringung von Dienstleistungen durch den planenden, organisierenden und verteilenden Einsatz von politischen Institutionen« = Sozialismus genannt haben. Kapitalismus ohne einen Mindestbetrag eines solchen »Sozialismus« ist nicht vorstellbar. Er bleibt Kapitalismus allerdings nur so lange, wie dieser Sozialismus ihm untergeordnet – subaltern – ist.

Dieser Subaltern-Sozialismus ist eine Art Gesundheitspolizei des Kapitalismus. So weit im Kapitalismus Regulierungsbedarf entsteht, ergibt sich daraus ein Betätigungsfeld für sozialdemokratische Parteien.

Ein Monopol hierauf haben sie allerdings nicht. Immer wieder sind es in der Vergangenheit auch Konservative und sogar Kapitalisten gewesen, die sich um die nötigen Korrekturen gekümmert haben. 1795 schon setzten aristokratische englische Friedensrichter eine Art Kombilohn, verbunden mit Einschränkung der Freizügigkeit für Arme, durch. Sie wollten damit die Fabrikanten ärgern, die keinen Zuzug von Arbeitskräften mehr hatten: den Lohnzuschuß gab es nur in der Heimatgemeinde der unterstützten Arbeiter. 1847 setzten die Konservativen im britischen Unterhaus sogar den Zehnstundentag durch – wieder gegen die liberalen Industriellen. Allerdings hatte es vorher viel Druck von einer militanten Massenbewegung gegeben: den Chartisten. Ähnlich funktionierte es mit Bismarck und den ersten Sozialversicherungen: Er wollte die Sozialdemokratie überflüssig machen, indem er selber das Nötige veranlaßte. Als der große Sozialreformer Konrad Adenauer sich 1957 die absolute Mehrheit sicherte, indem er rechtzeitig vor der Wahl die umlagefinanzierte Rente durch den Bundestag brachte, erweckte er wieder einmal den Eindruck, für solche Wohltaten brauche man die SPD nicht.

Wie im Falle Bismarcks war das auch diesmal geflunkert. Hätte es im 19. und im 20. Jahrhundert keine sozialdemokratische Partei und keine Gewerkschaften gegeben, wären die Sozial­versicherungen wohl unterblieben – sehr zum Schaden des Kapitalismus, der, um nicht unterzugehen, sich seine Arbeiterbewegung dann wohl selbst hätte erfinden müssen.

Das gab es tatsächlich schon. Als Franklin D. Roosevelt ab 1933 die Große Depression bekämpfte, benötigte er dazu nicht nur Big Government (einen Interventionsstaat) und Big Business (Kartellierung des Kapitals), sondern auch Kartellierung der Arbeitskraft durch neue Gewerkschaften. Darum kümmerte sich dann seine Frau Eleanor.

Sozialdemokratie und Revolution

Diese Tatsachen lesen sich wie eine Art Lebensversicherung für die Sozialdemokratie. Aber man muß sie zugleich in ihrem historischen Zusammenhang sehen. Bismarck gewährte die Kranken-, Alten- und Unfallversicherung nicht aus Angst vor der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, sondern vor der Revolution. Daß er die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (so hieß das damals) für einen umstürzlerischen Haufen hielt, war wohl ein bißchen paranoisch. Denkbar ist, daß sich Bismarck nicht vor einer real drohenden Revolution fürchtete, sondern vor einer eingebildeten. Immerhin: es wirkte.

Ähnlich war es mit Adenauer 1957: Er hatte damals erklärt, ein Wahlsieg der SPD werde der Untergang Deutschlands sein – deshalb Rentenreform. Was aber wäre dieser Untergang Deutschlands gewesen? Antwort: nicht ein Bundeskanzler Erich Ollenhauer, sondern Walter Ulbricht, der angeblich nur darauf wartete, auf einem Panzerwagen der Roten Armee bis an den Rhein vorzustoßen. Adenauer hielt sich für den besten Garanten zur Verhinderung dieses Unglücks, und er wußte: dazu brauchte man nicht nur die Wiederbewaffnung, sondern auch Montanmitbestimmung und dynamisierte Rente. Weil er die SPD für zu lasch hielt im Kampf gegen den Kommunismus (zu Unrecht übrigens), mußte sie von der Macht ferngehalten werden, indem man ihre ureigenen Anliegen klaute und selbst verwirklichte.

Das heißt: die Sozialdemokratie benötigt, um unentbehrlich zu sein, nicht nur einen Kapitalismus, der sich mit ihrer Hilfe ein bißchen selbst kontrolliert, sondern auch eine Revolution, die ihn bedroht und vor der sie ihn rettet. Wo eine solche nicht in Sicht ist, wird diese Partei entbehrlich. Wieder ist hier auf die USA zu verweisen, in denen zwar seit 1776 eine permanente bürgerliche Revolution stattfindet, aber eine sozialistische nie in Sicht war. Deshalb ist die Sozialdemokratie dort auch ausgefallen. Ein solcher Zustand könnte sich zukünftig auch in Europa anbahnen.

Dies ist der erste Grund, der ein etwaiges Ende der Sozialdemokratie vermuten läßt.

Kapital und Arbeit organisiert

Zeitgenössische Illustration zur Bismarckschen
Sozialgesetz

Zeitgenössische Illustration zur Bismarckschen Sozialgesetzgebung 1883/84, einem Zugeständnis an die organisierte Arbeiterbewegung

 

Er reicht aber nicht aus. Es ging in der Vergangenheit nämlich nicht nur um Revolutionsverhinderung. Denken wir an Nordeuropa. Anders als in Deutschland 1918 war dort von Umsturzgefahr nie etwas zu sehen. Schweden und Finnland hielten sich aus dem Kalten Krieg ganz heraus, Dänemark und Norwegen sind zwar in der NATO, waren aber nie von der Furcht vor einem Kommunismus so beherrscht wie die Bundesrepublik. Dort saß nicht die DDR als dritter Verhandlungspartner am Verhandlungstisch. Dennoch gibt es dort starke Sozialdemokratien. Warum?

Die scheinbare Ausnahme Nordeuropa ist nur die besonders deutliche Ausprägung einer Regel, die auch für das übrige Westeuropa gilt. Ihre Ursache ist der Übergang des Konkurrenzkapitalismus in den Organisierten Kapitalismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kartellierung des Kapitals entsprach die Kartellierung der Arbeitskraft in Gewerkschaften. Letztere waren eng mit den nun zu Massenorganisationen heranwachsenden sozialdemokratischen Parteien verbunden. Das entscheidende Wort ist: Organisation. Sie war eine gemeinsame Eigenschaft von Kapital und Arbeit über hundert Jahre lang: von 1870 bis nach 1970.

Den größten Grad an Organisiertheit erreichten die bürgerlichen Gesellschaften in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Wir stoßen hier auf eine etwas peinliche Tatsache: Sowohl 1914–1918 als auch 1939–1945 wies der Kapitalismus nicht nur ein Höchstmaß an Organisiertheit, sondern auch an politischer Verfügung über die Produktions- und Zirkulationsmittel auf, auch wenn diese noch in Privateigentum blieben. Der Staat war Auftraggeber für die Rüstungsindustrie (wie in Friedenszeiten auch), und er mußte viel Planung aufwenden. Als mitten im Ersten Weltkrieg die Wohnungsbewirtschaftung eingeführt wurde, sprach man sogar vom »Kriegssozialismus«. Dieser stützte sich auf die enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften: im »Kriegshilfsdienstgesetz« organisierte man gemeinsam die Zufuhr der Arbeitskraft. Sogar allererste Ansätze einer Mitsprache wurden zugestanden. Die Kommunen hatten ihre eigene Form der Kriegswirtschaft. Zum Bespiel richteten sie eigene Landwirtschaftsbetriebe für die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Milch ein. Es war ein solches Ausmaß an gemeinwirtschaftlicher Organisation im Kapitalismus entstanden, daß die Unternehmerverbände in den zwanziger Jahren ihre Privatisierungskampagnen als »Kampf gegen die Kalte Sozialisierung« organisierten.

Im Zweiten Weltkrieg zeigte sich allerdings in Deutschland, daß staatlicher Zugriff auf Produktion, Zirkulation, Dienstleistung und Verteilung auch ohne Kooperation mit der Arbeiterbewegung möglich war. In Großbritannien dagegen wurde diese einbezogen: Churchill nahm Labour 1940 in sein Kriegskabinett auf, der Liberale Beveridge entwarf einen künftigen Wohlfahrtsstaat, 1945 gewann die Arbeiterpartei die Wahl und nahm in den Folgejahren umfangreiche Verstaatlichungen vor, ohne daß der Kapitalismus dadurch angetastet wurde. Bis in die siebziger Jahre hinein beruhte das Gedeihen der bürgerlichen Gesellschaft auf der engen Kooperation zwischen organisiertem Kapital und organisierter Arbeit. Einigermaßen einvernehmliche Verwaltung des Wachstums bei steigenden Reallöhnen garantierte zugleich die Nachfrage und war gut für die Profite.

Seit dreieinhalb Jahrzehnten ändert sich das allerdings. In dem Maße, in dem Kapital sich aus der Produktion in die Zirkulation und Spekulation zurückzog, war es weniger organisiert als früher: Es konkurrierte statt dessen an der Börse und fragte jetzt nur noch vermindert Arbeitskraft nach. Seit Beginn der Massenerwerbslosigkeit zersetzte sich auch die Organisation der Arbeit. Mit Big Labour ist es allmählich vorbei.

Dies ist der zweite Grund, der ein etwaiges Ende der Sozialdemokratie vermuten läßt.

Berlusconi statt Steinmeier?

Franz Müntefering weist gern darauf hin, daß die SPD die älteste deutsche Partei ist. In der Tat: Die massenhafte Organisation des deutschen Proletariats wurde von der bürgerlichen Gesellschaft als Bedrohung wahrgenommen. Nur die katholische Zentrumspartei konnte da noch mithalten. Danach gab es dann auch reaktionäre Massenorganisationen bis hin zu den Faschisten. Sie alle organisierten sich als Parteien. Deren Wirken ist auf die Eroberung oder doch zumindest Beeinflussung des Staates gerichtet.

Die Massenparteien waren zugleich Mediensysteme. Mit ihrer illegalen Presse hielten sich die Sozialdemokraten schon unter dem Sozialistengesetz am Leben. Partei war Apparat, ähnlich organisiert wie der Staat, den es auf die eigenen Zwecke zu lenken galt.

Letzteres war allerdings eine Illusion. Wer sich organisierte, um mittels des Staates auf das Kapital einzuwirken, begab sich in einen Instanzenzug mit umgekehrter Wirkung. Die Organisationen dienten letztlich der Integration der Volksmassen in die kapitalistische Gesellschaft. Erfüllten sie diesen Zweck nicht, waren sie entweder verboten oder völlig marginalisiert. Gewiß hatte die Integration der Massen auch für das Kapital seinen Preis: es mußten Zugeständnisse gemacht werden, die als Erfolg einer Interessenvertretung von unten dargestellt werden konnten. Das Kapital herrschte indirekt: mit Hilfe des Staates und der Parteien.

Dies ist offenbar nicht mehr nötig. Marktradikalismus bedeutet auch Reduktion des Staates auf einige wenige Funktionen, z. B. Militär und Polizei. Als wirtschaftspolitischer Interven­tions- und als sozialpolitischer Verteilungsapparat wird er geschleift. Damit verlieren die Parteien, die mit seiner Hilfe Einfluß für ihre Klientel nehmen wollten, an Bedeutung. Dies trifft sie unterschiedlich. CDU/CSU und FDP waren immer in höherem Maße Repräsentant(inn)en von Kapitalmacht als Interessenvertreterinnen breiter Volksmassen. Diese ihre Funktion werden sie beibehalten. Die SPD war stärker auf den Staat angewiesen als sie. Dessen Bedeutungsverlust demontiert sie mit.

Waren sozialdemokratische und gewerkschaftliche Apparate früher Teil eines Systems von kommunizierenden Röhren zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Bourgeoisie, so hat sich Herrschaft inzwischen vereinfacht: Über seine Thinktanks, Stiftungen und Medien wendet sich das Kapital nun direkt ans weitgehend unorganisierte, ausschließlich auf Empfang geschaltete Volk. Italien ist in diesem Sinn das fortgeschrittenste Land Europas: Seit den letzten Wahlen gibt es dort keine sozialdemokratische Partei mehr. Veltronis Partito Democratico nennt schon mit seinem Namen sein Vorbild: die Democratic Party der USA, die aber – ebenso wie die dortigen Republikaner – keine Partei im bisherigen europäischen Sinn ist. Obama mag eine sozialdemokratische Person sein, aber er benötigt keine sozialdemokratische Partei. Über das öffentlich zelebrierte Sammeln von Unternehmerspenden zeigen sich Wahlsieger in den USA nicht nur als abhängige Variablen von Kapitalmacht, sondern sie machen dies auch zum Ausweis ihrer Politikfähigkeit. Rechts von der Mitte ist dies noch deutlicher, wiederum in Italien: statt einer Partei sehen wir da einen Medienkonzern, der die Massen effizient organisiert.

Schröder hatte erkannt, daß die Bundesrepublik auf diese Weise regiert werden kann. Vielleicht wußte er sogar, daß das für die SPD nur kurze Zeit gutgehen kann. Sie ist noch zu sehr eine Partei mit Apparat und – besonders lästig – mit Mitgliedern, die sich da und dort sogar etwas Eigenes denken. Als Vermittlungsinstanz ist sie durch die Bertelsmann-Stiftung und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in großen Teilen zu unterlaufen und zu übertölpeln.

Dies ist der dritte Grund, der ein etwaiges Ende der Sozialdemokratie vermuten läßt.

Licht am Ende des Tunnels

Es bleiben aber Restfunktionen von Parteien, schließlich stehen sie im Grundgesetz. Stein­meier und Steinbrück haben gelernt, was schon die Autoren des Godesberger Programms wußten: Das deutsche Kapital weiß das hiesige flexible Parteiensystem zu schätzen. Wer hier auf den letztlich gleichen programmatischen Grundlagen konkurriert wie CDU/CSU und FDP, spielt als Sozialdemokratie zwar per Saldo in der zweiten Liga, kann aber immer wieder einmal zum Zuge kommen, wenn diese beiden Hauptparteien zwischendurch an Effizienz verlieren. Als Adenauer sich in der Politik der Stärke und Erhard sich in einem unzeitgemäßen Wirtschaftsliberalismus verrannt hatten, konnte die SPD gewinnen, weil sie nützlichere Varianten der gleichen Politik anbot. Ähnlich 1998: Schröder war geeigneter zum Abbau des Sozialstaats als Kohl. Mag sein, daß eine lange Amtszeit der jetzigen Kanzlerin oder doch ihrer Partei bevorsteht. Dies bedeutet irgendwann Erstarrung. Dann wird die zweite Mannschaft – die SPD – wieder einmal ihre Chance bekommen.

Dies ist der Grund, weshalb ein Ende der So­zialdemokratie nicht zu erwarten ist.

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