Ahmadinedschads Blitzableiter
Demonstranten und Reformer werden in
die Nähe ausländischer Geheimdienste
gerückt - eine Strategie, die vor allem die mächtigen Gegner des Präsidenten und des religiösen Führers
treffen soll
Von
Rudolph Chimelli
Die Hauptschuldigen im Sinne der
Anklage sitzen in Teheran nicht auf der
Sünderbank: Mir Hussein Mussawi, der laut offiziellem Wahlergebnis unterlegene Präsidentschaftskandidat, der
frühere Reform-Präsident Mohammed
Chatami und vor allem Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani fehlen. Aber was die politisch Gewichtigen unter den
Beschuldigten im Verfahren gegen
Teilnehmer oder Organisatoren der Proteste gegen Wahlfälschung
aussagen, lässt das Ziel des Prozesses
erkennen: Irans Justiz und ihre
mächtigen Hintermänner konstruieren eine Verschwörungstheorie,
durch welche die wichtigsten Figuren
der Opposition ausgeschaltet werden sollen.
Am meisten hat
Rafsandschani zu verlieren. Er gehört der hohen Hierarchie an, hat sich aber als erbitterter Gegner des
wiedergewählten Staatschefs Mahmud
Ahmadinedschad die Kritik der Protestbewegung teilweise zu eigen gemacht. Nach wie vor steht Rafsandschani an
der Spitze zweier wichtiger
Verfassungsorgane: des Expertenrates, der den Geistlichen Führer
wählt, und des Obersten
Schlichtungsrates, der in Streitfällen zwischen den Staatsorganen vermittelt. Er ist der Einzige, der dem Geistlichen
Führer Ali Chamenei, Ahmadinedschads
Protektor, gefährlich werden kann. Selber
wiederum ist er bedroht, falls sich eine indirekte Verbindung zwischen
ihm und "Staatsfeinden"
konstruieren lässt.
Ein Schlüsselsatz in der Aussage des
Angeklagten Mohammed-Ali Abtahi, des
einstigen Vizepräsidenten Chatamis, lautet, Mussawi, Chatami und Rafsandschani hätten sich gegenseitig
"durch einen Schwur" verbündet. Über
die angeblichen Eidgenossen schreibt die Zeitung Keyhan, ein
Sprachrohr Chameneis, am Sonntag:
Mussawi habe sich mit einem Beauftragten des
israelischen Geheimdienstes Mossad getroffen, während Chatami enge Kontakte zu dem "mit Medaille
ausgezeichneten CIA-Agenten Tadschbachsch" gepflegt habe. Der amerikanisch-iranische Doppelbürger Kian
Tadschbachsch ist unter den
Angeklagten. Er sagte aus: "Wenn man die Anstifter der Unruhen finden will, muss man bei der
Regierung, den halboffiziellen Stellen
und dem Geheimdienst der USA suchen."
An vielem wird die Stoßrichtung des
Verfahrens sichtbar: Ein angebliches
Zusammenspiel zwischen kriminellen Randalierern, politischen Demonstranten, führenden Politikern der
Opposition und ausländischen Helfern
soll nachgewiesen werden. Außenminister Manutschehr Mottaki sagte, westliche Länder seien "zu Komplizen
von Verbrechen und Mord geworden, indem
ihre TV-Sender Anweisungen gaben, wie man Unruhen organisiert, Sprengsätze herstellt und auf andere Weise
Spannungen schafft". Auch die
regimefeindlichen Volksmudschaheddin, deren Lager bei Bagdad letzte
Woche von den Irakern übernommen wurde,
müssen als Helfer der Opposition
herhalten. Einige Randalierer sagten aus, sie seien in jenem Lager ausgebildet worden.
Am bestem informiert über das Verfahren
zeigte sich die Agentur Fars, die den
Revolutionsgarden (Pasdaran) nahesteht. Sie haben offenbar bei der Vorbereitung des Prozesses die Hauptrolle
übernommen. Ein Mann aus ihren Reihen,
Dschawad Asadeh, ist nach Darstellung der oppositionellen Agentur Rus für die Erpressung von Geständnissen der
Hauptangeklagten durch Folter
verantwortlich. Durch eine auf diese Weise erstellte Dokumentation
solle die Verbindung der
Protestbewegung zum Ausland bewiesen werden. Asadeh ist angeblich dem Vertreter des Geistlichen
Führers beim Sicherheitsamt der
Pasdaran, Ahmad Salek, unterstellt.
Mehrmals haben die Pasdaran betont, sie
seien die treibende Kraft bei der
Unterdrückung der Opposition. Noch vor der Wahl hatte General
Jadollah Dschawani, Chef der
politischen Abteilung, gedroht, die Garden würden jeden Versuch zerschmettern, aus dem Resultat eine
Samt-Revolution zu machen. Nach der
Wahl konstatierte er, diese habe "die Macht in unsere
Hand gegeben". Dieser Wendepunkt
verändere die politische Lage.
Pasdaran-Kommandeur General Mohammed-Ali Dschaafari sagte, die
Garde kontrolliere nun das Land und
verteidige die Revolution. Die Konsequenzen
müssten auf allen Gebieten sichtbar werden - wie sich jetzt zeigt, auch
in der Justiz. Der Prozess begann
wenige Tage vor der Einführung
Ahmadinedschads in seine zweite Amtszeit. Mit Spannung wird darauf gewartet, wie viele Abgeordnete seiner
Vereidigung fernbleiben.
Noch ein Motiv hat das Regime für die
Justiz-Farce. Es braucht einen
Blitzableiter, um von seinen zahlreichen Schwierigkeiten abzulenken.
Quelle:
Süddeutsche Zeitung
Nr.176, Montag, den 03. August 2009 ,
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