FAZ
14.07.2009
Im Gespräch: Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schrin Ebadi "Die
Proteste in Iran haben nur ihre Form verändert"
Schirin Ebadi will sich in Teheran für die Freilassung der politischen
Gefangenen einsetzen. Auf einer Tagung der Deutschen Welle in Bonn forderte sie
am Montag Europa auf, den Druck auf Iran zu erhöhen – aber ohne
Wirtschaftssanktionen.
FRAGE: Frau Ebadi, ist die iranische Protestbewegung gescheitert?
ANTWORT: Die Brutalität des Regimes ist unglaublich groß. Die Menschen
sind gezwungen, ihre Proteste auf andere Art und Weise zum Ausdruck zu bringen.
Nachts rufen sie als Zeichen ihres Protests noch immer "Allahu Akbar"
von ihren Dächern oder aus dem Fenster. Die Mütter, deren Kinder verschwunden
oder verhaftet worden sind, tragen Schwarz als trauernde Mütter und halten an
den Samstagen um sieben Uhr am Abend Sitzstreiks ab. Die Proteste sind nicht
abgeflaut oder beendet, sie haben nur ihre Form geändert.
FRAGE: Wie kann es jetzt weitergehen?
ANTWORT: Diese Bewegung setzt sich zum Ziel, mehr Demokratie zu
erreichen. Die Brutalität des Staates war sehr groß, aber die Menschen haben
beschlossen, ihre Proteste fortzusetzen. Ich bin zuversichtlich, dass die
Menschen das erreichen werden, was sie sich wünschen. Mann kann sie nicht ewig
unter Druck zu setzen.
FRAGE: Es hat Tausende von Festnahmen gegeben. Sie waren selbst im
Gefängnis. Was geschieht mit diesen Leuten?
ANTWORT: Nach offiziellen Angaben der Behörden, die vor ein paar Tagen
veröffentlicht worden sind, sind 2050 Personen verhaftet worden. Diese
Verhaftungen dauern an. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Verhafteten viel
höher liegt. Es gibt keine genauen Informationen über ihren Aufenthaltsort. Es
ist ihnen untersagt, Kontakt zu ihren Angehörigen oder Rechtsanwälten
aufzunehmen. Wir sind in großer Sorge um sie.
FRAGE: Was wissen Sie über das Schicksal der Mitarbeiter Ihrer
Organisation "Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte", die vor
kurzem festgenommen worden sind?
ANTWORT: Wir wissen nicht, wie es ihnen geht, weil man sie isoliert. Wir
wissen nur, dass sie in Einzelhaft genommen worden sind.
FRAGE: Gibt es ein Muster, nach dem die Sicherheitskräfte vorgehen, oder
ist es reine Willkür?
ANTWORT: Nein, es gibt keine Regeln und kein Muster. Nehmen Sie zum Beispiel
den jüngsten Fall von gestern. Ein junger Student, der vor längerem wegen
seines Engagements in der Frauenbewegung festgenommen und gegen eine hohe
Kaution freigelassen worden war, war auf der Straße, weil er seine kranke
Schwiegermutter zum Krankenhaus gebracht hat. Er wurde von einem
Basidschi-Milizionär erkannt und einfach festgenommen. Es gab keinen
Haftbefehl.
FRAGE: Welche Erwartungen haben Sie an Oppositionsführer Mussawi?
ANTWORT: Ich habe keine konkrete politische Orientierung. Wer zum Präsidenten
gewählt oder ernannt wird, ist für mich nicht von großer Bedeutung. Mir ist
wichtig, wie dieser Präsident die Menschen behandelt.
FRAGE: Oppositionsführer Mussawi soll versuchen, eine Partei zu gründen.
Wäre das ein wichtiger nächster Schritt für die Oppositionsbewegung?
ANTWORT: Die Menschen brauchen die Demokratie, und sie werden jedes
Mittel nutzen, um das zu erreichen. Das kann auch eine Parteigründung sein.
Genauer kann man dazu erst Stellung nehmen, wenn Mussawi seine Partei gegründet
hat.
FRAGE: Es scheint innerhalb des Regimes Spannungen zu geben.
ANTWORT: Eine Gruppe von Geistlichen hat die Gewalt verurteilt und
gesagt, dass das nicht mit dem Islam vereinbar sei. Solche Stellungnahmen der
kritischen Geistlichkeit sollten als Signal zur Unterstützung der Bevölkerung
gewertet werden. Das ist ein gutes Zeichen, auch für die islamische
Reformbewegung im Allgemeinen. Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass
Islam und Demokratie vereinbar sind.
FRAGE: Ist der Legitimitätsverlust, den das Regime erlitten hat, so
groß, dass es am Ende darüber zu Fall kommen kann?
ANTWORT: Um zu einem solchen Schluss zu kommen wie den, dass es
letztendlich zu einem Sturz des Regimes kommen könnte, ist es noch zu früh.
Aber man sollte es gutheißen, dass geistliche Würdenträger Partei für die
Bevölkerung ergreifen.
FRAGE: Muss sich die Reformbewegung jetzt auf eine längere Phase starker
Repressionen einstellen?
ANTWORT: Keine Regierung kann sich die Macht durch nackte Gewalt
sichern. Sie wird einlenken, sich dem Willen des Volkes beugen und sich
reformieren lassen - oder sie stürzt. Am Ende wird die Bevölkerung der Sieger
sein.
FRAGE: Sie wollen bald nach Iran zurückkehren. Sie standen früher schon
einmal auf einer Todesliste. Glauben Sie nicht, dass die Gefahr für Sie jetzt
noch größer ist?
ANTWORT: Wenn ich ständig an Furcht und Angst denken würde, könnte ich
nicht arbeiten. Meine Verwandten, mein Ehemann, mein Büro, alles ist in
Teheran. Ich kann nichts anderes tun, es ist meine Heimat.
FRAGE: Viele junge Leute sehen das offenbar anders. Ist das eine große
Gefahr?
ANTWORT: Nach Unesco-Statistiken hat Iran den größten Verlust an
Intelligenz an das Ausland erlitten. Und die Flucht wird weitergehen, wenn sich
nichts tut.
FRAGE: Die jungen Leute haben sich in der Zeit vor der Wahl neue
Freiräume geschaffen. Hat diese Erfahrung die Jugend verändert und politisiert?
ANTWORT: Die Jugend wird weiter politisch bleiben. Sie wird weitermachen, ihre Probleme sind nicht gelöst. Das wird weiter auf der Tagesordnung stehen.
FRAGE: Was werden Sie in
Iran als nächstes Projekt in Angriff nehmen?
ANTWORT: Das wichtigste Projekt ist die Freilassung der politischen
Gefangenen. Dazu will ich beitragen.
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