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Ein Jahr nach den Wahlen
Entwicklungen und aktueller Stand von Minderheiten im Iran

Von Ali Mahdjoubi

10. Juni 2010

Die im Vorfeld der iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 entstandene Grüne Welle wurde erst im Zuge der Proteste gegen die offensichtlich massive Wahlfälschung und die undiplomatisch-rücksichtlose Durchsetzung eines vorbestimmten Ergebnisses auf eine harte Probe gestellt. Die dezentrale und über zahlreiche kleine Netzwerke koordinierte Grüne Bewegung stand zwar vordergründig vor der Herausforderung, im Abwehrkampf gegen eine brachial-nackte Gewalt der formellen und informellen Sicherheitskräfte nicht unterzugehen. Dennoch musste sie auch Erwartungen von Teilen der Bevölkerung gerecht werden, die eine inhaltliche und programmatische Ausrichtung in vielen Bürger- und Menschenrechtsfragen hatten. Denn diese konnten bis dahin nicht in der nötigen Breite als konkrete Forderungen mit einer wahrnehmbaren Eigenständigkeit und Wertigkeit formuliert und gestellt werden. Dazu gehörten unter anderem die verfassungsmäßigen Rechte und vielfältige demokratischen Anliegen von ethnischen und religiösen Minderheiten als unverzichtbaren Akteuren einer breiten Demokratiebewegung. Der Umgang der Teheraner Machthaber mit den bekannten religiösen Minderheiten, vor allem den Bahai und Sufis, ist weiterhin besorgniserregend. Sie sind mit einer brutalen Unterdrückungsmaschinerie konfrontiert, die kein Maß an Härte und Verlogenheit kennt. Auch christliche Minderheiten agieren in einem Klima des Generalverdachts, der Angst und der ständiger Kontrolle. Unter besonderer Beobachtung stehen die zum Christentum konvertierten Iraner. Sie gelten alle als Gefährder der nationalen Sicherheit und der religiösen Einheit des Landes. Nicht minder prekär ist die Lage von sexuellen Minderheiten und GLBT-Angehörigen. Sie waren schon zuvor das Objekt von Schikanen und Willkür der Sicherheitskräfte. Nun werden sie mit neuen politischen Vorwürfen als Aktivisten unter dem Dach der Grünen Bewegung verfolgt und bestraft.  In diesem Beitrag werden vorrangig die Lage, das Zusammenwirken und die Wechselwirkung der ethnischen Minderheiten im Kontext der Grünen Bewegung kurz unter die Lupe genommen.

Das Spektakulärste, was ethnischen Minderheiten im Iran mehr Aufmerksamkeit und Raum verschafft hat, war die Festnahme von Abdol-Malek Rigi, dem Anführer der Gruppe „Dschondollah“. Es war einer der groß gefeierten und medial breit inszenierten Erfolge der iranischen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten. Zwar sind Beobachtern viele Widersprüche und Ungereimtheiten in den Verlautbarungen der iranischen Verantwortlichen nicht verborgen geblieben, jedoch rückte dadurch, neben terroristischen Umtrieben und Aktivitäten dieser Gruppe, vor allem die Lage der sunnitischen Belutschen als ethnische und religiöse  Minderheit in den Vordergrund. Die Gruppe „Dschondollah“ hat den Schwerpunkt ihrer militärisch-terroristischen Aktivitäten in der südöstlichen Provinz des Iran: Sistan-Belutschestan. Die Provinz, mit enormen politischen und soziökonomischen Altlasten ist das Armenhaus des Landes. Hinzu gekommen sind neue Probleme durch eine offensiv religiöse Diskriminierung und Bevormundung durch die Zentralmacht der Islamischen Republik. Die Machthaber in Teheran predigen unermüdlich die Einheit und Brüderschaft aller Muslime, gehen aber, rhetorisch wie praktisch. aggressiv diskriminierend und repressiv-gewaltsam mit der sunnitischen Geistlichkeit in Belutschistan und anderen sunnitisch besiedelten Regionen um. Rücksichtnahme auf kulturelle Rechte und religiöse Gefühle von Belutschen oder realistische Aufbauprogramme zur Reduzierung des Wohlstandsgefälles zwischen dieser Provinz und anderen Regionen des Landes gibt es in der iranischen Innenpolitik nicht.

Nicht anders ist die Lage der anderen ethnischen Minderheiten. Die Turkmenen, eine turksprachige, mehrheitlich sunnitische Volksgruppe im Nordosten des Landes, hat die Islamische Republik bereits zu Beginn ihrer Herrschaft nachhaltig unterdrückt, indem sie die links orientierte Spitze einer breiten Bewegung für mehr kulturelle Rechte von Turkmenen vor etwa 30 Jahren physisch und politisch buchstäblich vernichtete. Nun regt sich eine leise und sich rücksichtsvoll in die Grüne Bewegung integrierende Wiederbelebung dessen, was damals ein jähes blutiges Ende gefunden hat: die Umsetzung und Einhaltung von verfassungsmäßigen Rechten der ethnischen Minderheiten im Iran. Die ausschlaggebenden Akteure sind diesmal nicht die landlosen Bauern mit einer kleinen linken Elite an der Spitze, sondern eine gut vernetzte urbane Jugend und Studierende, die teilweise in anderen Großstädten des Landes politisch aktiv sind und dem Anliegen dieser Minderheiten in anderen gesellschaftspolitischen Foren Gehör verschaffen.

Die Situation in den streifenweise dicht besiedelten arabischen Gebieten im Südwesten hat große Ähnlichkeiten mit der der turkmenischen Regionen. Der Ölreichtum der Provinz Khoozestan, die Nachbarschaft mit den nicht immer bequemen arabischen Staaten und einige historisch bedingte Sensibilitäten Teherans gegenüber der arabischsprachigen Minderheit tragen dazu bei, den demokratischen Anliegen der arabischen Minderheit mit übertriebenen sicherheitspolitischen Maßnahmen zu begegnen. Diese Anliegen werden von zwei unterschiedlichen Kreisen mit Nachdruck unterstützt: entweder von panarabistischen Kreisen, die in der Konsequenz separatistisch und in der Praxis militant-terroristisch agieren oder von einer kleinen Schicht aus dem städtischen Bildungsbürgertum, die großes Interesse am Erfolg der Grünen Bewegung hat und sich eher in diesem Kontext zu Wort meldet. Die arabische Bevölkerung in den südwestlichen Provinzen Irans ist religiös uneinheitlich. Die Islamische Republik hat zu Beginn und vor allem in der heißen Phase des 8-jährigen Kriegs mit Saddams Irak die schiitischen Araber gegen die sunnitischen zu instrumentalisieren versucht. Heute sind vor allem die kulturelle Benachteiligung und die daraus entwachsende Diskriminierung die hauptsächlichen Beweggründe der Aktivisten für demokratische Rechte der arabischen Minderheit.

In Kurdistan bzw. in den kurdischen Provinzen können die Aktivisten für Minderheitenrechte auf eine breite Unterstützung in der kurdischen  Bevölkerung setzen. Das hat auch viel mit der Geschichte und den historischen Traditionen zu tun, auf die die Kurden im Kampf für Autonomie und föderale Strukturen im Iran zurückblicken. Die intellektuelle und bildungsbürgerliche Elite der Provinz versucht einen offenen Schulterschluss mit der Grünen Bewegung. Ihre Stellungnahmen finden auch über die Provinzmedien hinaus ein breites Echo. Dennoch nehmen die Schlagzeilen über die bewaffneten Auseinandersetzungen der iranischen Sicherheitskräfte mit der PJAK (dem iranischen Ableger der türkischen PKK) mehr Raum in den iranischen und den westlichen Medien. Die Aktivitäten der PJAK, sind militärischer Natur und können nur als terroristisch bezeichnet werden. Sie wecken zwar mehr mediale Aufmerksamkeit, haben aber keinen Bezug zur aktuellen Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung im Iran. Die PJAK ist ein Exportgut aus einer mit allerlei Personenkult und sektenhaften Allüren gespickten Welt von Öcalan-Anhängern im kurdischen Exil, die nicht nur der iranischen Bevölkerung sondern auch der kurdischen Bevölkerung im Iran fremd ist. Alle politischen Parteien in den kurdischen Gebieten des Iran haben zwar klare und weitergehende Forderungen auf dem Feld der Minderheitenpolitik, agieren aber pragmatisch und in dem Bewusstsein, dass die Grüne Bewegung eine reale Chance bietet, die ersehnten Rechte auf einer breiten demokratischen Basis besser und mit weniger Verlust durchsetzen zu können. Nach der vor kurzem vollstreckten Hinrichtung von fünf politischen Häftlingen, davon vier kurdischstämmig, gab es einen Generalstreik in vielen kurdischen Städten. Dies unterstrich den gewaltfreien Charakter der Proteste im Kontext der iranweiten Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung deutlich. Dass die PJAK sich mit neuen Terroranschlägen als Hauptakteur in den kurdischen Gebieten des Iran zu profilieren versucht hat, kam nur der Propagandamaschinerie der Teheraner Machthaber zugute. Innenpolitisch nutzen die Aktivitäten von PJAK und Rigis Dschondollah vor allem der Regierung von Ahmadinejad und den Ton angebenden Sicherheitskräften. Denn terroristische Aktivitäten kommen zwar als radikale Protestformen daher, sie schwächen aber die Geschlossenheit der Reihen im urbanen Milieu, den gewaltfreien Ansatz im Kampf und den breiten Konsens für demokratische Rechte. Historisch bedingt, gibt es einen intensiven kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Austausch zwischen den iranischen, türkischen und irakischen Kurden, der bisher alle politisch-militärischen Barrieren überleben konnte. Allen Befürchtungen der Leugner der Existenz von ethnischen Minderheiten zum Trotz, hat dieser Austausch nicht dazu geführt, den gemeinsamen Kampf für Demokratie und Bürgerrechte mit dem Fokus auf das ganze Land aufzugeben und nur eine lokale Agenda zu verfolgen.

Gewisse Parallelen mit den kurdischen Provinzen weisen auch die Provinzen mit einer aserbaidschanischen Mehrheit und in den aserbaidschanischen Enklaven im Zentraliran, Nordosten und Südwesten des Landes auf. Es fehlt aber an einer ähnlich breiten Basis wie in den kurdischen Gebieten des Iran, die sich die Forderungen für mehr Autonomie und kulturelle Selbstbestimmung zueigen machen würde. Als größte ethnische und sprachliche Minderheit haben die Aserbaidschaner in Iran einen Sonderstatus. Sie haben immer eine große und aktive Rolle in allen gesellschaftspolitischen Sphären des Iran gespielt und die Geschicke des Landes wesentlich mitbestimmt. Die überwiegende Mehrheit der politisch aktiven Bevölkerungsteile trägt hier die Forderungen von einigen kleinen und radikalen Organisationen nicht mit, die in ihrem politischen Engagement nur auf die ethnische Identität setzen und nicht nur die Zukunftsfähigkeit und Stärke der Grünen Bewegung bezweifeln. Manche von ihnen attackieren sogar die allgemeinen Demokratie- und Bürgerrechtsforderungen und betrachten sie als Vorwand, um so den ethnischen Minderheiten letzten Endes ihre Rechte vorzuenthalten. Das Ergebnis ist ein Sektierertum, das diesen Organisationen zwar einen beachtlichen Zulauf unter den Jugendlichen und „nicht-eigenen“ Bildungsbürgern der Islamischen Republik verschaffen könnte, aber insgesamt die iranweite Demokratiebewegung schwächen würde.