Ein Jüdische Stimme über Günter Grass Gedicht " Weil gesagt werden Muss"

Prof. Dr. Rolf Verleger, Lübeck ist Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland und als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein[ Ich habe gerade an drei Zeitungen beiliegenden Brief als Leserbrief geschrieben. (Im Wesentlichen mein "Kontra" aus "idea-Spektrum") Mit besten Grüßen und auch guten Wünschen für Pessach (ich mach' zum ersten Mal seit mindestens fünf Jahren einen Seder, 14 Personen ...) Rolf Die meisten der von Ihnen zitierten Reaktionen auf Günter Grass kritisieren ihn heftig. Bei den von Ihnen zitierten Juden frage ich mich allerdings: Soll das ein jüdischer Standpunkt sein? „Was dir verhasst ist, tu deinem Nächsten nicht an! Das ist die ganze Torah, der Rest ist Erläuterung“, lehrte Hillel (ca. 30 v. bis 9 n. Chr.), Begründer des einflussreichsten jüdischen Lehrhauses. Wenden wir dies an: Irans Präsident Achmadinedschad fordert, das zionistische Regime Israel solle von der Landkarte verschwinden. Das ist nicht freundlich. Aber Israel fordert schon seit langem einen „Regimewechsel“ im Iran. Tut es damit dem Iran nicht genau das an, was ihm selbst verhasst ist? Ebenso: Iran möchte vielleicht die Atombombe. Aber Israel hat sie längst schon selbst. Mit welchem Recht kann es sie dem Iran verbieten? Sowohl die USA als auch Israel vertreten hier kurzsichtig ihre Interessen, und die EU spielt leider mit. Die USA wollen im ölreichen Nahen Osten nur wohlgesonnene Regimes – und sie möchten den Fehler wettmachen, dass sie mit ihrem Irak-Krieg dem Iran mehr Einfluss verschafften. Aber was ist am Iran schlechter als an Pakistan oder Saudi-Arabien? Hat der Iran kein Recht auf ökonomische und politische Entfaltung? Achmadinedschads Rechtfertigung für seine verbalen Ausfälle ist die schwärende Wunde des Unrechts Israels: 1948 Vertreibung der Palästinenser, ihre Enteignung und gewaltsame Verhinderung ihrer Rückkehr, heute ihre Diskriminierung in Israel, ihre Rechtlosigkeit in der Westbank, ihre Einkesselung in Gaza. Israel möchte von diesem Unrecht nicht reden und setzt sich stattdessen als Opfer einer hypothetischen künftigen iranischen Atombombe in Szene. Ist dieser Themenwechsel nicht sehr willkommen? "Du sollst nicht morden", wurde uns geboten. Denn Gewalt ist niemals eine Lösung. Wenn man den israelischen Rechtsnationalisten zuhört, könnte man meinen, die Bösen seien immer die anderen. Ist es aber nicht vielmehr unsere Aufgabe, unseren eigenen Anteil zu erkennen und zu ändern?

Prof. Dr. Rolf Verleger, Lübeck