Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Liebe Freundinnen und Freunde
Zum Abschluss des Jahres haben wir das
von unserem Forschungsprojekt HEyMAT zu Beginn der Sarrazin-Debatte ad hoc
ins Netz gestellte Dossier überarbeitet, aktualisiert und noch einmal gegengeprüft.
Es ist auf unserer Homepage abrufbar
unter:
http://www.heymat.hu-berlin.de/sarrazin2010
In der nun vorliegenden, knapp 70
Seiten umfassenden Veröffentlichung haben wir sowohl die Daten des Mikrozensus
2008 und 2009 im Hinblick auf die Thesen Thilo Sarrazins untersucht als
auch 20 repräsentative Studien der renommiertesten deutschen Forschungseinrichtungen
berücksichtigt und analysiert. Diese haben in den letzten Jahren zum großen
Themenkomplex "Integration" Stellung genommen (so viel zum
Tabu-Thema....).
Die wichtigsten Ergebnisse unserer
Analyse haben wir auf 3 Seiten zusammengefasst und den einzelnen
Ausführungen in einer Übersicht vorangestellt.
Wir haben uns vorrangig auf die Analyse
seines 7. Kapitels "Integration und Zuwanderung" beschränkt, da wir
insbesondere seine Thesen zu "Muslimen" untersuchen wollten –
nicht zuletzt vor allem deshalb, weil genau hier unsere Expertise liegt.
Es ist für uns nach dieser fundierten
empirischen Gegenüberstellung rätselhaft, wie sich die Meinung durchsetzen
konnte, Sarrazin habe mit seinem Buch Probleme der Integration erstmalig klar benannt.
Die Vorwürfe ihm gegenüber lauten bis
dato:
1. Er habe eigentlich die Wahrheit
angesprochen - sich nur im Ton vergriffen.
2. Im Kern habe er Recht, nur mit der
Genetik, das war zu viel. Wenn am Ende in der Kernlandschaft die
Botschaft hängenbleibt, Thilo Sarrazin habe eigentlich 2 Bücher geschrieben
– ein richtiges über die Integrationsprobleme und ein falsches über die Genetik, dann ist
das eine Aussage, die darauf
schließen lassen könnte, dass sich bis dato kaum jemand die Mühe gemacht hat, sein
Kapitel zu Integration und Zuwanderung ausführlich zu analysieren. Wenn diese Botschaft im
Kern im Gedächtnis zurückbleibt,
dann womöglich, weil er es durch seine selbstgewisse Darstellung in den Medien
geschafft hat, seinem Buch den Nimbus der empirischen Sicherheit zu geben.
Tatsächlich bleibt Sarrazins Buch
gerade für dieses 7. Kapitel zu "Zuwanderung und Integration"
unwissenschaftlich und analytisch falsch. Seine Quellen für dieses
Kapitel basieren über weite Strecken auf Hinweisen von Journalisten, teilweise
populistischen Werken, Hinterzimmergesprächen und zu einem geringeren Teil – dort wo es
gilt, besonders abwertende
Aussagen zu untermauern – auf eingestreute Zahlen des Mikrozensus und wenigen, aus dem
Zusammenhang gerissenen Studien. Das Problem bleibt, dass sich seine Aussagen
mit dem Bauchgefühl einer verunsicherten Menge decken, deren Alltagskontakte zu Muslimen
sich, sofern sie überhaupt
vorhanden sind, durch negativ empfundene Wahrnehmungen im Öffentlichen Raum, z.B. in
der U-Bahn, in Stadtvierteln oder über Medienbilder generieren.
Nach der Analyse erhärtet sich der
Verdacht, dass Sarrazin sich sein Urteil – wie viele andere auch - bereits vor
der Abschrift gebildet hatte und gezielt nach Aussagen, Zahlen und Hinweisen gesucht hat,
die diese Position stützen.
Erkenntnisse, Fakten und Entwicklungen, die zahlreich und offenkundig sind, aber seine
Hypothesen in Frage stellen könnten, hat er gezielt weggelassen – dies widerspricht
entscheidend seinem wissenschaftlichen Anspruch.
Damit hat er eine fatale Entwicklung
eingeleitet: Er hat den Lesern suggeriert, dass sein Buch wissenschaftlich,
ergo glaubwürdig ist. Er hat
dadurch diejenigen Wissenschaftler, die seinen Thesen widersprechen, letztlich als Lügner,
Feiglinge oder Dummköpfe dargestellt. Auf die verunsicherte Masse, die seinem Buch zu
dieser starken Auflage verholfen hat, wirkt er daher wie jemand, der sich
endlich traut, die aufgestaute Mulmigkeit beim Namen zu nennen, während
selbst die renommiertesten und profiliertesten Wissenschaftler auf diesem
Feld wie Klaus Bade oder Wilhelm Heitmeyer als unglaubwürdig wahrgenommen werden und
Studien wie die
der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verrohung der Mittelschicht oder der Universität Münster zur höchsten
islamophoben Einstellung in Deutschland einfach weggewunken werden.
Es ist bitter, dass diese Debatte nicht
vor fünf Jahren so öffentlich geführt wurde, z.B. im Vorfeld des Integrationsgipfels
2006. Nun, da die Integrations-Erfolge großflächig wirksam und kleinteilig
offensichtlich wurden und der mühsame Prozess der Vergemeinschaftung in die
richtige Richtung zu gehen
schien, kracht dieses Buch mit seiner unverhohlenen Verachtung gegenüber Migranten genau in die
verunsicherte Mittelschicht, die gerade anfing, sich an ein Deutschland zu
gewöhnen, das vielfältig ist
und sein wird. Dabei kann es nicht als Alibi dienen, wenn Sarrazin betont, er meine nicht
alle "Migranten"...
Einer von Thilo Sarrazins Kernsätzen
lautet, man habe ihn bis dato "bei seinen Zahlen nicht wiederlegt". Sie können sich mit diesem Dossier ein
eigenes Bild davon machen.
Wir erheben mit der Zusammenstellung
dieses Datenmaterials weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch den auf
Letztgültigkeit. Wir möchten nur Jenen, die sich nicht hauptberuflich mit
der Analyse von Zahlen und Daten beschäftigen eine Möglichkeit geben, das Material zu lesen
und ihnen einen Zugang zu
den Daten und ihrer Analyse ermöglichen.
Das Dossier wird zu Beginn des Neuen
Jahres in den Druck gehen - es soll Ihnen jedoch vorab online vorliegen, falls
Sie für Ihren Endjahres-Seelenfrieden mit dieser Debatte abschließen oder falls
Sie sich das Sylvester Fest
mit Ihren Freunden verderben wollen ;)
Für Kritik und Anregungen bleiben wir
weiterhin offen.
hier noch einmal der Link:
http://www.heymat.hu-berlin.de/sarrazin2010
Im Namen des HEyMAT-Teams wünsche ich
Ihnen von Herzen frohe Feiertage und einen guten Start ins Neue Jahr.
Naika Foroutan
--
Dr. Naika Foroutan
Leiterin VW-Forschungsprojekt:
Hybride europäisch-muslimische
Identitätsmodelle/ HEYMAT
Humboldt Universität Berlin
Institut für Sozialwissenschaften
Unter den Linden 6
10099 Berlin
Tel: (+49-30) 2093-4416
Fax: (+49-40) 2093-4367
E-Mail:foroutan@hu-berlin.de
www.heymat.hu-berlin.de