Warum Iran in einer "tödlichen Krise" steckt

 

Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski sieht Irans islamisches System in "einer tödlichen Krise". Das Regime habe seine "historische Legitimation" verloren und können die derzeitigen Unruhen allenfalls kurzfristig überleben, sagt Brzezinski im Interview mit dem Handelsblatt.

Handelsblatt: Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Iran? Ist die Reformbewegung bereits niedergeschlagen?

Zbigniew Brzezinski: Die Lage ist weiterhin explosiv. Es kann immer noch etwas geschehen, das die Situation zuspitzt und dann zu Entwicklungen führt, die im Moment noch unrealistisch erscheinen. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass gegenwärtige Regime überlebt, dann ist dies trotzdem der Beginn einer tödlichen Krise. Das Regime verliert ganz offensichtlich seine historische Legitimation. Vielleicht zwar zunächst nur bei den gebildeten, sozial höheren Klassen in den städtischen Regionen. Aber wenn dieser Prozess einmal begonnen hat, dann ist es sehr schwer, die ursprüngliche Leidenschaft wieder herzustellen, auf der Engagement und Loyalität beruhen. Langfristig kann man deshalb erwarten, dass ein moderner, demokratischer Iran entstehen wird. Und das kann geopolitisch erhebliche Auswirkungen haben.

Ist das, was wir sehen eine Revolution oder lediglich Aufruhr innerhalb des Systems?

Wenn die Proteste Erfolg haben, dann ist es eine Revolution. In jedem Fal l ist es aber schon jetzt ein Symptom für eine ernste Krise des bestehenden Regimes.

Gibt es eine Spaltung zwischen den klerikalen Kräften innerhalb des Regimes?

Ja, ich denke schon. Schauen Sie sich etwa die kritische Position von Haschemi Rafsandschani an. Ich glaube, um das System zu erhalten brauchen sie einen neuen obersten Führer, weil der gegenwärtige oberste Führer eine Menge Glaubwürdigkeit verloren hat.

Was wären die politischen Folgen, sollte die Reformbewegung niedergeschlagen werden? Wie kann der Westen mit einem Regime Politik machen, das sich als Diktatur erwiesen hat?

Nun, Herr Schröder hat keine Probleme damit, mit Herrn Putin Geschäfte zu machen - obwohl Russland kaum eine Demokratie zu nennen ist. Wir hatten keine Probleme mit Stalin oder Mao Tse-tung. Wenn es Themen gibt, die verhandelt werden müssen, dann tut man das mit dem Regime, das an der Macht ist. Und mit dem Iran gibt es mindestens zwei oder drei zentrale Themen, die besprochen werden müssen. Das Nuklearprogramm, die regionale Sicherheit und Wirtschaftsfragen. Iran hat enorme ökonomische Probleme. Der Westen würde sehr davon profitieren, sollte der Iran besseren Zugang zu den weltweiten Energiemärkten haben. Daran sollten nicht nur die Iraner ein Interesse haben sondern auch der Westen.

Hat der Westen immer noch die Hebelkraft, um den Iran daran zu hindern, Atomwaffen zu besitzen?

Je länger wir mit dem Iran nicht verhandeln, desto weniger Einfluss haben wir. Die Zeit läuft. Wir hätten mit Verhandlungen schon vor fünf, acht oder sogar zehn Jahren anfangen sollen, damals, als der Iran damit begann, Zentrifugen zu bauen. Jetzt hat er mehr als 6000. Was also haben wir davon, wenn wir nicht verhandeln?

Verhandeln mit einer Führung, die uns gerade gezeigt hat, welcher Natur sie ist...

Warum sollten wir einen Unterschied machen? Wir verhandeln also mit Mao, Stalin und Putin, nicht aber mit dem Obersten Führer Irans? Wo ist da das Argument. Verhandeln heißt nicht, dass man dadurch dem anderen moralische Legitimation zuerkennt. Natürlich können wir nicht verhandeln, wenn sie nicht verhandeln. Aber warum sollten wir sagen, wir verhandeln nicht?

Sie haben neulich die Ereignisse im Iran mit jenen in Polen in den 80er Jahren verglichen, dabei aber auf einen großen Unterscheid hingewiesen...

..ja, denn in Polen war der Wunsch nach Demokratie begleitet von einem nationalistischen Grundgedanken. Denn dieser Nationalismus damals beinhaltete die Ablehnung eines diktatorischen Regimes, das von einer fremden Macht gesteuert war. Im Iran indes hilft Nationalismus nicht unbedingt der Demokratisierung. Auf jeden Fall ist es keine Kraft im Kampf gegen den Status Quo. Es geht mehr um die Frage, ob im Iran der Wunsch nach Demokratie stärker ist als die Macht eines fundamentalistischen Regimes. Insbesondere wir Amerikaner müssen sehr vorsichtig sein, dass wir nicht den iranischen Nationalismus gegen uns aufbringen. Das würde am Ende nur jener Gruppe in die Hände spielen, die bei uns vergleichbar wäre mit den Neocons, die die Welt in gut und böse aufteilt.

Ist aus der strategischen Sicht des Westens Ahmadinedschad am Ende nicht sogar der bessere Präsident, weil sich gegen ihn leichter eine Front gegen Iran bilden lässt, für Sanktionen?

Aber die Frage ist doch: Was würden wir mit Sanktionen erreichen? Sanktionen würden den Iran nicht von seinem Atomprogramm abhalten. Vielmehr hätten wir dann keinerlei Einfluss mehr auf den Charakter oder den Umfang des Programms. Wir können also Sanktionen erheben und haben am Ende doch einen nuklearen Iran, aber dann einen verärgerten, frustrierten und fremdenfeindlich gegen den Westen eingestellten Iran. Ist das im Interesse der USA oder Israels? Nicht zu verhandeln hat zwar eine Logik - allerdings führt die zu einem törichten Ergebnis: Dass es einen Krieg wahrscheinlicher macht, weil wir oder Israel dann den Iran angreifen. Aber das wäre selbstmörderisch für den Westen und für Israel.

Wenn sich aber Teheran Verhandlungen verweigert, dann müssen wir mit der Tatsache leben, dass der Iran eins Tages Atomwaffen besitzt...

Gibt es eine bessere Alternative? Wir lebten mit den Sowjets unter der atomaren Bedrohung und die Abschreckung hat funktioniert. Wir leben mit e inem nuklearen China. Inder und Pakistani sind vernünftiger wegen der gegenseitigen atomaren Abschreckung. Wenn der Iran nuklear bewaffnet ist, dann wird es womöglich weniger instabil in der Region sein als heute.

Israel gehört dann aber auch in die Gleichung und müsste einräumen, dass es Atomwaffen hat...

..jeder weiß doch, dass Israel Atomwaffen hat. Die Abschreckungswirkung ist nicht dadurch reduziert, dass Israel diese Tatsache noch nicht offiziell zugegeben hat.

In Kairo hat Obama die Menschen dazu aufgerufen, ihre Meinung zu sagen und sich nicht unterdrücken zu lassen. Das haben die Menschen im Iran nun getan. Könnten Sie nun enttäuscht sein, dass sie nicht mehr tatkräftige Unterstützung vom Westen erhalten?

Können Sie mir bitte sagen, an welche Unterstützung Sie denken? Verbale Unterstützung nützt nicht viel. Es gibt hier in den USA sehr viel Sympathie etwa für die Aufständischen auf den Tiananmen-Platz in Peking 1989, aber das hat auch nicht geholfen. Wenn jemand Obama dafür kritisiert, wie er mit der Situation umgeht, dann sollen diese Kritiker bitte auch sagen, was exakt er ihrer Ansicht nach tun soll. Paul Wolfowitz (stv. Verteidigungsminister unter Donald Rumsfeld) etwa sagte, dass Obama Mir-Hossein Mussawi anrufen solle. Ich habe mich da gefragt: Würde Mussawi diesen Anruf annehmen? Wenn ja, was sollte ihm Obama sagen? Und schließlich: Könnte das nicht genau der Todeskuß für=2 0Mussawi und die demokratischen Kräfte sein? Es ist leicht zu sagen, dass Obama mehr tun soll.

Stellt man die Ereignisse in Teheran in den Kontext Islam und Demokratie, welche Lehren können wir ziehen?

Es gibt zweierlei Iran. Der Iran der Zukunft wird vielleicht nicht mehr so stark sein wie der Iran von heute und gestern. Aber der Iran hat das soziale Potenzial, eines Tages ein wichtiger Partner des Westens in diesem Teil der Welt zu sein. Und sogar Israels. Immerhin unterstützte Israel den Iran im Krieg des Irak gegen den Iran in den 80er Jahren. Getreu dem Motto: Der Nachbar meines Nachbars ist mein Freund.

Die arabischen Nachbarn des Iran haben sich zu den Ereignissen dort kaum geäußert. Warum?

Die denken dort an ihre eigenen Probleme. Zwar ist der Iran in vielerlei Hinsicht mehr westlich als viele andere Staaten. Aber ja, dort ist man sicher sehr beunruhigt darüber, was im Iran geschieht.

...weil es bei ihnen selbst geschehen könnte...

Ja, sicher.

Verändert das, was im Iran geschieht, die US-Strategie im Nahen und Mittleren Osten?

Ich glaube nicht. Das unterstreicht nur wie wichtig es ist, mit dem Iran zu verhandeln. Wir müssen uns sehr engagiert in den Friedensprozess zwischen den Israelis und den Palästinensern einbringen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um eine anständige Lösung zu bekommen, die eine Aussöhnung zulässt. Neta njahus Format eines Friedens ist nicht ein Frieden der Versöhnung, das ist ein Frieden, bei dem es Leidtragende gibt, einen, der klar dominiert. Deshalb wird daraus auch nichts werden. Aber wenn es keinen Frieden gibt, dann sieht die Zukunft im Nahen Osten noch düsterer aus und die langfristige Bedrohung gegen Israel wird größer. Wir befinden uns jetzt an einem Punkt im Nahen Osten, wo Israel die letzte Chance hat, eine kreative, integrale Kraft in diesem Prozess zu sein. Die Alternative ist, dass Israel ansonsten eine isolierte amerikanisch-europäische Enklave wird. Eine Enklave, die immer mehr Feindseligkeiten auf sich ziehen wird.

Wie sehen die Auswirkungen auf Afghanistan aus?

Wir haben mit dem Iran gemeinsame Interessen in Afghanistan. Es wäre sehr schade, wenn das, was gerade passiert, diese gemeinsamen Interessen reduzieren würde. Das ist auch ein anderer Grund, warum man sehr vorsichtig damit sein muss, was man sagt und tut.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derzeit in Washington. Mit George W. Bush kam sie gut zurecht. Wie würden Sie das Verhältnis mit Obama beschreiben?

Ich vermute, dass Merkel Obama als einen viel lohnenderen Gesprächspartner schätzen lernen wird als Bush. Bush mag mehr oberflächlichen Charme gehabt haben und menschliche Direktheit. Obama ist sehr intellektuell, sehr intelligent, aber auch eine sehr scharfsinnige Person. Eine Konsequenz davon ist, dass ein Gespräch mit ihm sehr viel meh r Substanz hat, ernsthaft ist und produktiv.

Wie wichtig ist es, dass zwischen Staatsführern die Chemie stimmt?

Für einige Führer ist es wichtig. Für Bush war es wichtig. Manche Menschen haben aber auch gelernt das zu manipulieren. Aber in der Mehrzahl war es Bush, der manipuliert wurde statt umgekehrt. Mit Obama ist es viel rationaler, intellektueller, kühler und analytischer. Aber langfristig - vorausgesetzt das beruht auf Gegenseitigkeit - ist das viel produktiver. Und mein Eindruck von der Kanzlerin ist, dass sie eine kluge Frau ist, die kühl abwägt und nicht von Emotionen getrieben ist. Deshalb glaube ich, dass die Diskussionen zwischen den beiden sehr substanziell sind und potenziell auch produktiv.

Kann Angela Merkel für Europa stehen?

In der Tat muss die Kanzlerin verstehen, dass wir eine intelligente europäische Stimme brauchen. Idealerweise sollte das jemand sein, der für das ganze Europa sprechen kann. Aber so jemanden gibt es derzeit nicht. Deshalb sollte es zumindest eine Stimme sein, die zumindest für diese Triade aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich sprechen kann. Im Idealfall stimmen diese drei Länder überein, dann wäre der Dialog mit den USA nahezu ausgeglichen. Aber wenn das nicht möglich ist, dann sollte es so sein, dass man mit jedem einzelnen der drei ernsthaft sprechen kann. Mit Merkel gibt es da relativ wenige Schwierigkeiten. Brown hat seine eigenen politischen Verwerfungen; und=2 0Sarkozy hat sein persönliches Ego als Problem.

Es wird immer wieder von Sand im transatlantischen Getriebe gesprochen und geschrieben. Etwa von den unterschiedlichen Auffassungen beim Umgang mit der Wirtschaftskrise oder aber wenn es um Guantanamo geht. Ist das wirklich wichtig?

Das wird übertrieben. Natürlich wäre es schön, wenn wir bei Guantanamo etwas mehr Hilfe hätten. Schließlich ist das eine schlechte Sache dort und wir versuchen das Lager zu schließen - und jetzt will uns da keiner helfen. Aber das ist keine wirklich entscheidende Angelegenheit.

Es gibt viele gemeinsame Interessen zwischen Europa und den USA...

...und nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft. Schauen Sie sich den Nahen Osten an, da müssen wir gemeinsam nach einer Lösung suchen. Wir müssen zusammenstehen, wenn es um den Iran geht, Afghanistan und Pakistan. Wir müssen ein gemeinsames strategisches Interesse heben, wenn es um Russland geht. Zum einen, um Russland in den Westen zu integrieren. Doch gleichzeitig müssen wir dabei vermeiden, dass Russland als imperiale Macht in den Westen kommt. Mit einem untergeordneten Georgien, einer untergeordneten Ukraine, einem isolierten Zentralasien. Das ist keine Lösung für Stabilität.

Sind die Deutschen zu freundlich im Umgang mit Russland?

Ich glaube, dass die Deutschen ein bisschen einseitig sind in ihrem Herangehen an Russland. Sie realisieren nich t die Notwendigkeit, die Dinge auszubalancieren. Auf der einen Seite gibt es natürlich die Notwendigkeit zur Verständigung, aber auf der anderen Seite darf diese Verständigung nicht den Prozess des Wandels verlangsamen, den Russland braucht. Vor allem das, was Deutschland, Frankreich und Großbritannien durchlebt haben: Dass sie keine imperialen Mächte mehr sind, die sich als Rivalen Amerikas verstehen.

Wie betreibt man diesen Wandel in Russland?

Indem man sie nicht all das machen lässt, was sie tun würden, wenn sie freie Hand hätten. Dazu gehört, dass sie eine Art Sowjetblock in der ehemaligen Sowjetunion errichten wollen. Putin will einen solchen Block innerhalb der ehemaligen Sowjetunion schaffen, indem er Nachbarn unterdrückt und Europa von russischen Energielieferungen abhängig macht. Da sind die Deutschen nicht sehr sensibel.

Welche Botschaft wird Obama nach Moskau bringen, wenn er Anfang Juli dorthin reist?

Es wird eine doppelte sein: Wir wollen Euch - Russland - als Partner, wir sehen Euch als Teil einer größeren westlichen Gemeinschaft. Aber zu den gleichen Bedingungen wie jeden anderen. Wir befinden uns nicht mehr in der imperialen Epoche, wir kommen nicht mehr zusammen mit unseren kleinen privaten Weltreichen. Frankreich ist post-imperial, Deutschland ist post-imperial und hat das auch verarbeitet, Großbritannien ist post-imperial. Aber die Russen haben den Stalinismus noch nicht überwunden. Wir müssen es für Russl and einfach zu kostspielig machen, solche Interessen zu verfolgen - weil wir da im Weg stehen

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